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halloleipzig

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geschichten, texte, fragmente &

gedanken über das auswandern & in die ferne schweifen, das ankommen & heimischwerden, vermissen & liebgewinnen.

für alle entdecker, die ihr zuhause in der weite suchen & (hoffentlich) in sich finden.

so oft es der alltag zulässt, wann immer möglich zweiwöchentlich, gibt's hier auf halloleipzig neues zu leipzig & umgebung.

leipzig, mein leipzig, lob ich mir (angelehnt an goethe).

SUMMERSPLASH (1) oder Schlechte Zeiten - Gute Zeiten

 

Sie fahren nicht weg in diesen Sommerferien. Auch im vergangenen Jahr war die Urlaubsdestination Balkonien und es ist wahrscheinlich, dass sie auch nächstes Jahr und ebenso im darauffolgenden und dem darauffolgenden weder das Meer noch die Berge sehen wird.

 

Ihre Klassenkamerad:innen ereifern sich, sich gegenseitig mit enthusiastischen Berichten über das anstehende Ferienprogramm zu überbieten: Sich an der Adriaküste Sonnenbrand holen, in den Bergen mit den Gämsen um die Wette klettern, Sommerrodelbahn oder Tretboot fahren. Abends durch mit Mittelmeerflair angehauchte Altstadtgassen flanieren und noch ein letztes Eis vor dem Zubettgehen schlecken. Nachts die Abermillionen von Sternen zählen, die im Gebirge, weitab von den Lichtern der Großstadt zum Greifen nah scheinen.

 

Für sie bleiben die konkreten Pläne der anderen Wunschträume und Fantasiegebilde. Für sie gibt es das Eis nicht mit Meeresbrise, nicht die eigens ausgesuchten Sorten von einem seinen Beruf hingebungsvoll ausübenden Eisverkäufer in ein Cornetto gedrückt. Nein. Für sie gibt es Eis am Stiel aus der Cellophanverpackung, das der tagein und tagaus griesgrämig gestimmte Verkäufer am Kiosk beim Waldtümpel eine gute halbe Fahrradstunde südlich der Stadt aus einer muffig riechenden Tiefkühltruhe fischt.

Wenn ihr ihre Mutter, die am Morgen von der Nachtschicht über die Türschwelle in die Wohnung gestolpert kommt, weil sie ihre müden, bleischweren Füße nicht mehr richtig anheben mag und auf dem schnellsten Weg ins Bett wanken möchte, mal einen Euro mehr Taschengeld zusteckt, gönnt sie sich machmal ein Waffeleis. Wenn man aber Pech hat, ist die Waffel vom unvorsichtigen Umgang des Kioskverkäufers mit der Ware schon zerbrochen und der weiche Schokoladenkern, der ganz unten im Teighörnchen als krönender Abschluss des für sie schon fast dekadenten Eisvergnügens wartet, bereits ausgelaufen. Dann bleibt vom süßen Vergnügen nicht mehr als ein in den Zwischenraum von Waffel und Verpackung geschmiegter Schokoladenfilm.

 

Trotzdem ist dieser Sommer der schönste ihres bisherigen Lebens.

Das Billoeis aus der Mufftruhe schmeckt besser als jede in Handarbeit hergestellte Gelati-Sorte in kreativ ausgefallener Geschmacksrichtung. Die Plörre im Tümpel ist wie Badewannenwasser mit Duftnote Tannenwald und fancy grünem Glibber-Zusatz. Die Griesgrämigkeit des Kioskverkäufers bekommt ihren eigenen Charme.

Das alles, weil sie das erste Mal verliebt ist. Hoffnungslos verknallt bis über beide roten Ohren in den Typen, der dem Griesgram diesen Sommer wohl etwas zur Hand gehen soll, währenddessen jener sich faul und behäbig und mit unter dem T-Shirt hervorquellenden Bauch auf dem alten Liegebett mit den quietschenden Federn und dem ausgebleichten, zerrissenen Stoffüberzug suhlt und sich die Tannennadeln in den beim Schnarchen offen stehenden Mund rieseln lässt.

Der Typ heißt Mo. Er hat Augen, die die gleiche Farbe haben wie das Moos der Steine, die den Waldsee säumen. Helle Sprenkel sind in das Grün getupft, wie wenn das Sonnenlicht durch die Äste bricht und Lichtpunkte auf den weichen Waldboden malt.

Ihr Herz galoppiert mit donnernden Hufen auf und davon, macht unvorhergesehene Sprünge, sodass sie ins Straucheln gerät; sie ist sich sicher ist, dass der wilde Tanz in ihrer Brust von außen nicht überseh- und nicht überhörbar sein kann.

Wofür Mo die Abkürzung ist, weiß sie nicht, aber es spielt in dem Moment auch keine Rolle: Hauptsache er ist da! Hauptsache er ist da, jeden Tag, bis zum Ende der Sommerferien. Mo mit den Moosaugen und den magischen Kräften, die schlechte Zeiten in gute Zeiten verwandeln.

 

Der Text entstand während der Vorbereitungen zum 1. Termin des Schreibworkshops ...SUMMERSPLASH...

 

© anaïs-madlaina büchl


 

 

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