geschichten & texte in, um & aus leipzig

halloleipzig

neues entdecken.

neues im gewohnten sehen.

gewohntes im neuen wiederfinden.

geschichten, texte, fragmente &

gedanken über das auswandern & in die ferne schweifen, das ankommen & heimischwerden, vermissen & liebgewinnen.

für alle entdecker, die ihr zuhause in der weite suchen & (hoffentlich) in sich finden.

so oft es der alltag zulässt, wann immer möglich zweiwöchentlich, gibt's hier auf halloleipzig neues zu leipzig & umgebung.

leipzig, mein leipzig, lob ich mir (angelehnt an goethe).

Wutnuancen oder Heute bin ich blassorange

 

In meiner ersten Leipziger Woche besuchte ich in der Leipziger Baumwollspinnerei die Ausstellung „Analysis of Anger“ der Zentrale für Kunst e.V. . Das Thema macht bereits der Titel sehr deutlich: Eine Analyse der Wut. Wie gehe ich als Einzelperson aber auch wie geht die Gesellschaft als Kollektiv mit diesem vor allem negativ behafteten Gefühl um?

Es ist nicht mein Ansinnen, dieses, wenn auch hochspannende, hochbrisante und hochaktuelle Thema soziologisch und philosophisch zu beleuchten. Auch will ich keine Kunstkritik der ausgestellten Werke zur Erörterung bringen, sondern eine der Arbeiten zum Anlass nehmen, mich zu fragen, wie es mir denn heute geht und welcher Farbe dieser Gemütszustand entspricht.

 

Die Künstlerin Marie Brehmer hat in ihrem Werk "Variis" Farbpigmente in Petrischalen zu kleinen Häufchen geschichtet. Jeder Farbton wurde einer Nuance der Wut zugeordnet und die Farbqualität beschrieben. So ist die „Raserei“ ein Neonorange, „blendend“, jedoch etwas dunkler in der Tonalität als das „grell“e Orange der Gefühlsnuance „Blind vor Wut“.

Die Verbindung zwischen Sprache und Emotion, zwischen Emotion und Farb- und Bild bzw. Gestaltgebung ist für mich so naheliegend wie der Künstlerin offenbar auch, aber die Sorgfalt und Beobachtungsgabe, ein Gefühl in solch einer Feinheit aufzuschlüsseln hat mich tief beeindruckt und mir wieder bewusst gemacht, wie unglaublich präzise und differenziert Sprache sein kann.

Groll, Ingrimm, Rage, Unmacht. Was für schöne Worte! Trotz ihrer Bedeutung.

Und so frage ich mich nun also: Wie geht es mir heute, was ist der treffendste sprachliche Ausdruck, die Komplexität der Innenwelt in ihrer Schattierung abzubilden und welche Farbe entspricht diesem Zustand?

So etwas Eloquentes wie Ingrimm will mir nicht einfallen, aber „gesetzte Verlorenheit“ trifft es vielleicht nicht schlecht. Verlorenheit mit etwas Unsicherheit, Ungeduld, Unruhe, aber auch mit Zuversicht gemischt.

Der Farbmix, der am Ende entsteht, wäre ein leicht schimmerndes, durchscheinendes Blassorange.

Ob mir dieses Wissen, dass ich heute blassorange gedämpft und nur leise leuchtend durch die Straßen wandle, etwas nützt?

Selbst wenn nicht - Gefühlen in Formen, Farben, in Worten eine Bühne zu geben, macht es einfacher, sie auszuhalten, sie besser einordnen und sie im besten Falle vielleicht sogar verstehen zu können.

 

Also, danke, Leipzig - mein Leipzig -, dass Du diese wunderschön anzusehende, tiefgründige und spannende Arbeit in dieser Ausstellung für mich platziert hast (auch wenn das natürlich die Kuratorin der Ausstellung, Ralitsa Benkova, war - ein Dank und Lob an dieser Stelle) und mein Augenmerk beim Scrollen in der Fotomediathek auf ein gemachtes Bild des Werkes gelenkt hast.

So schreibe ich mir heute meine blassorangene Verlorenheit und Unruhe von der Seele und weiß, dass ich vielleicht schon morgen wieder so gelb scheine wie die Sonne.

 

Welche Farbe haben heute Deine Gefühle?

 

 

© anaïs-madlaina büchl - bearbeitete Fotografie der Arbeit "Variis" von Marie Brehmer

 

fotostandort

kontakt

für weitere inhalte, ideen & vorschläge für texte, geteilte freuden & leiden: